Pornografie- eine "sexuelle Superdroge"?

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Zusammenfassung der virtuellen Panel-Diskussion „Pornografiekonsum und psychische Gesundheit“ des Vereins Safersurfing.

Teenager mit sexuellen Funktionsstörungen, 15-jährige mit groben Konzentrations- und Gedächtnisproblemen, partnerbezogene Lustlosigkeit bereits in jungen Jahren, Jugendliche mit erektilen Dysfunktionen und Orgasmusstörungen, die sich Viagra verschreiben lassen.

"Der hat mit elf schon alles im Darknet gesehen, was man sehen konnte"

Was für meine Ohren erst einmal seltsam klingt, erlebt Heike Melzer, Neurologin und Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Verhaltenssüchte, täglich in ihrer Praxis. Jugendliche, die immer früher und immer jünger Internetpornographie in süchtig machendem Ausmaß konsumieren und Sexualität in der realen Welt kaum noch leben können.

Abhängigkeit von Pornographie ist eine Realität, deren Ausmaß stark zugenommen hat. In diesem Punkt waren sich die bei der am 16. März vom österreichischen Verein Safersurfing, gemeinsam mit der Sigmund-Freud Privatuniversität und dem Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie organisierten Online-Podiumsdiskussion geladenen Psychotherapeuten und Suchtexperten erstaunlich einig.

Die Filme im Internet haben ein sehr hohes Suchtpotenzial, was bedeutet, dass schon Konsumation über einen kurzen Zeitraum und in niedriger Dosierung zu Abhängigkeit führen kann (Ungleich dem Beispiel Alkohol – hier muss über einen vergleichsweise langen Zeitraum Alkohol in hoher Dosierung konsumiert werden, um eine Abhängigkeit zu entwickeln). Entscheidend dabei ist das Belohnungssystem im Gehirn, das angesprochen wird, der positive „Kick“. Je rascher dieser ansteigt und wieder abfällt, erklären die ExpertInnen, desto höher das Suchtpotenzial. Aufgrund der Dichte an Videos und kostenlosen Inhalten im Netz lässt sich permanent ein neuer Kick erreichen, der aber auch schnell wieder abfällt. Neue Reize müssen her. „Alles was belohnend wirkt, kann süchtig machen,“ so die Suchtexperten.

Der „sexuelle Superreiz“

Mit den einstigen „Sexheftchen“ ist die heutige Internetpornographie nicht mehr zu vergleichen. Was früher Hardcore war, ist heute Blümchensex, so die Therapeuten. Dass Kinder und Jugendliche immer früher Zugang zu Pornographie haben, ist mittlerweile wohl allgemein akzeptierte Tatsache. Dass sich seit dem Internet auch die Zahl der PatientInnen mit einer Abhängigkeit vervielfacht hat, berichten die Therapeuten aus ihrer langjährigen Berufspraxis. Einer der Psychotherapeuten, Dr. Roth, spricht von einer gefühlten „Verzehnfachung“ in den letzten Jahren. Er beschäftigt sich seit 40 Jahren therapeutisch mit Sexsucht und stellt fest: Die KlientInnen werden immer jünger. Es sind die „digital natives“, jene 25-30-Jährige, deren sexuelle Sozialisation übers Internet stattgefunden hat.  

Junge Menschen suchen therapeutische Hilfe auf, weil sie mit Sexualität im realen Leben nicht mehr zurecht kommen. Viele Jugendliche haben immer später partnerschaftlichen Kontakt mit realen Partnern, gleichzeitig haben sie bereits alles im Internet gesehen, was es sexuell zu sehen gibt. Auch aufgrund eingangs beschriebener physischer und psychischer Symptome ist der Leidensdruck für das Individuum meist hoch, berichtet der Therapeut Dr. Batthyány von seinen KlientInnen.

Das fehlende „Biozertifikat“ bei Internetpornographie

Gewaltinhalte, Gruppenvergewaltigungen, Folterung, sexueller Missbrauch von Kindern – wieviel davon lässt sich schadlos konsumieren? Immer wieder fällt in der Diskussion der Satz: „Die Dosis macht das Gift“. Jedoch: Pornographie kann auch Missbrauchsmaterial sein. Wer sagt mir, dass tatsächlich alle Akteure in dem Video, das ich mir ansehe, ihr Einverständnis gegeben haben, zu allem was sie in den Videos machen?

Als Gesellschaft erleben wir eine Hinwendung zu mehr Qualität in all unseren Lebensbereichen, angefangen bei der richtigen Ernährung, bewusstem Konsum, Reisen, etc. Wir achten auf unseren ökologischen Fußabdruck, Reduktion und Verzicht sind en vogue. Melzer, die Expertin für Verhaltenssüchte, behauptet: Auch in der Sexualität braucht es in Zeiten von Internetpornographie eine Reduktion, um „genussfähig“ zu bleiben.


Sucht und Sexualität immer noch große Schamthemen

Dr. Peter Stippl - Präsident des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie beobachtet: Wir sind als Gesellschaft sehr empfindlich geworden was Gewalt betrifft. Junge Generationen sind immer weniger bereit Diskriminierung und Gewaltstrukturen hinzunehmen und setzen sich dafür ein diese aufzubrechen: Gewalt und Diskriminierung, auch in der Sprache, in Geschlechterverhältnissen in der partnerschaftlichen Rollenverteilung, dem Berufsleben, der Werbung. Über Pornographie und die darin vervielfachten Gewaltbilder und Geschlechterrollen, wird kaum gesprochen.

Sowohl Sucht als auch Sexualität sind nach wie vor schambehaftete Themen, sei es aus Angst vor Moralisierung oder Stigmatisierung, der Angst in den privaten Bereich des Menschen und Lustfragen einzugreifen. Diese Sprachlosigkeit sehen manche ExpertInnen mit Besorgnis.

Der Unterschied zwischen Spaß und Freude

Auch zwischen Erwachsenen sind Sucht und Sexualität oft noch Tabuthemen. Die TherapeutInnen heben die Wichtigkeit des offenen Gesprächs als Gesellschaft, in der Erziehung, in der Schule, in Partnerschaften hervor. Die erste Erfahrung mit Sexualität passiert für Kinder immer häufiger über Pornographie und im Internet. Diese zeichnet, wenig überraschend, ein verzerrtes Bild von Sexualität und blendet die emotionale Bandbreite von Sexualität aus. Daher ist besonders das Gespräch mit Jugendlichen und Kindern wichtig, um den Unterschied zwischen sexuell erfüllter Liebe und liebloser Sexualität zu thematisieren, so Univ.-Prof. Prim. Dr. Michael Musalek, Ärztlicher Direktor des Anton-Proksch Instituts in Wien. Er spricht den Unterschied zwischen echter Freude und Spaß an, den Erich Fromm in seiner Lehre beschreibt. Kinder und Jugendliche wachsen heute auf, ohne die emotionale Ebene von Sexualität kennen zu lernen. Es werden weder Gefühle, noch Haptik oder Gerüche mit Sex in Verbindung gebracht, was für viele eine erfüllte Sexualität im Erwachsenenalter erschwert, so Musalek.

Seid ihr neugierig geworden und möchtet mehr erfahren? Dann schaut doch die Panel-Diskussion auf Youtube nach:

https://www.youtube.com/watch?v=xsGXAeBg9hg&ab_channel=Safersurfing

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